Vier Tage Kameraseminar mit Volker Tittel im Rahmen des Programms „FilmTrain“

„Beide Augen auf ...“

... hilft nicht nur bei ruckelfreien Kameragängen auf unwegsamem Gelände und Treppenstufen oder wenn mal ein Stahlseil reißt beim Dreh auf einem indischen Schiffsschrottplatz. „Beide Augen auf“ ermöglicht für den Kameramann Volker Tittel auch einen sicheren Stand zwischen den Genres Dokumentar- und Spielfilm. Nach beschwerlichen Jahren im VW-Bus zwischen Itzehoe, Berlin und München und etlichen unbezahlten Einsätzen für Filmhochschulabsolventen hatte Volker Tittel zunächst beide Beine im Dokumentarfilm.

Offensichtlich hat er schnell einen ästhetischen Stil entwickelt, der ihn nicht auf ein Genre festlegt. Das, was die Fernsehredaktionen die „Opulenz“ in seinen Bildern nennen, passt offenbar auch in den fiktionalen Film. Die Spielfilmleute waren bald daran interessiert, sagt er nicht ohne Stolz, dass er ihre Stoffe ebenso realistisch einfängt, wie er es in seinen Dokumentarfilmen schafft. Seitdem dreht er so ziemlich alles, Fernsehspiele, Tatort, Low-budget Kinofilme und hin und wieder einen Dokumentarfilm.

Vier Tage Kameraseminar bei Volker Tittel konnten zumindest einen kleinen Einblick vermitteln, wie diese „Opulenz“ in seine Bilder kommt: Seine Kamera sucht fast immer das Licht von vorn, spielt mit Dunst, Dampf, Staub und Glanz. Ohne Reflexe läuft gar nichts und wenn das Licht nicht ausreicht, dann beschränkt sich der Bildausschnitt auf den Rhythmus der Schattenbilder, und den Tanz der Konturen. Seine Bilder zaubern Tiefe, irgendwas, sagt der Meister, „wischt“ ihm immer durchs Bild. Das können dann bombastische Nildampfer aus dem Dokumärchen „Al Oud“ sein, das die geheimnisvolle Odyssee eines gleichnamigen Saiteninstrumentes bespielt, oder auch die beängstigenden Marihuanaschwaden in Fritz Baumanns jamaikanischem Rastafaristreifen „So frei wie der Löwe“. Volker Tittel dreht viel von der Schulter, ist schnell mittendrin, greift den Schwung der ekstatischen Tänzer am Rande der Sahara ebenso auf wie die ruhige Hand des Dominospielers im mittlerweile völlig entspannten Jamaika.

Volker Tittel (rechts und Mitte) und seine Eleven (Fotos: Lorenz Müller)

Natürlich gibt es auch geniale Tricks in Tittels Bildern. Wie z.B. kommt man zu wahrhaft gigantischen archäologischen Tauchfahrten durch die versunkene Kulturen im ewigen Nil? Man besorgt sich ein 20 Liter Aquarium und einige handgroße Gipsfiguren. Das leere Aquarium wird ins knietiefe Nilwasser gedrückt und an den nun scheinbar 10 Meter hohen Statuen vorbei geschoben. Und keiner hat’s gemerkt. Und wenn man im Goldgräberdorf im brasilianischen Regenwald keinen Dolly im Handgepäck hat, dann tun’s auch mitgebrachte Skateboardrollen auf zusammengesteckten Wasserrohren. So arbeiten die vom Tatort übrigens jetzt auch.

Vier Tage Kameraseminar, nicht nur die Zeit zum Staunen, sondern auch zum selber anpacken. Die kleine Wiker Kanalfähre musste herhalten für non-fiktionale Beiträge aus den Bereichen Industriefilm, Tagebuch, Erlebnisbericht und Reportage. Schwer, sich nicht gegenseitig auf den Füßen zu stehen. Fast alle Teams mussten ihre Drehs aus solchen und unrühmlicheren Gründen gleich noch mal wiederholen. Am Ende von vier Tagen Dauerbefragung und Drehexperimenten standen dann tatsächlich vier unterschiedliche Filmchen und ein ziemlich erschöpfter Volker Tittel. So viel, sagt der, redet er normalerweise nicht auf der Arbeit. Aber gucken tut er - mit beiden Augen. (Ulrich Selle)

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