46. Nordische Filmtage Lübeck

Plädoyer für die jugendliche Revolte

„Terrorists - The Kids They Sentenced“ (S 2003, Stefan Jarl, Lukas Moodysson)

Die Proteste gegen den Weltwirtschaftsgipfel 2001 im schwedischen Göteborg beantworteten die schwedischen Autoritäten mit beispielloser Härte. 700 Demonstranten wurde in einer Schule festgehalten, die ihnen von den örtlichen Behörden als Schlafplatz angeboten worden war. Deutsche Terroristen seien unter den Demonstranten, hieß es von offizieller Seite. Über 400 meist jugendliche Demonstranten wurden in Gewahrsam genommen, die Staatsanwaltschaft forderte in den folgenden Verfahren Haftstrafen bis zu 16 Jahren für einige der Angeklagten. Verhängt wurden 14 Haftstrafen zwischen 12 und 16 Monaten an Jugendliche zwischen 19 und 24 Jahren.

Die Filmemacher Lukas Moodysson („Raus aus Amal“, „Zusammen“) und Stefan Jarl fanden über ihre Stellungnahmen in der schwedischen Presse zueinander. Mit „Terrorists“ wollten sie die öffentliche Diskussion anregen. Doch schnell wurde ihnen klar, dass sie den Film ohne finanzielle Unterstützung würden realisieren müssen. Nach den ersten Aufführungen reagierte die Presse mit scharfer Kritik und bezeichnete die Filmemacher u.a. als schwedische Antwort auf Leni Riefenstahl.

Mit einer schnell montierten Sequenz lassen Moodysson und Jarl ihren Film beginnen. Bilder von blutigen Aufständen, startenden Düsenjets, Polizeigewalt, Tierversuchen, abgeholzten Regenwäldern und Großdemonstrationen gegen die USA und Weltwirtschaftsmächte prasseln auf den Zuschauer ein. Mit „The urge to revolt is one of the basic human emotions“ wird der französische Existenzialist und Moralist Camus zitiert. Die Filmemacher stellen ihr Plädoyer für einen toleranten Umgang mit den jugendlichen Aktivisten an den Anfang ihres Films.

„Mit dem Film wollten wir den so genannten Terroristen eine Stimme geben, sie ihre Geschichte erzählen lassen“, erklärt Jarl während seiner Masterclass auf den Nordischen Filmtagen. Die angeblich militanten Terroristen entpuppen sich vor der Kamera als politisch links-orientierte Jugendliche, denen knapp zwei Jahren später der Schock der Verhöre und Behandlung mit Psychopharmaka während des Polizeigewahrsam noch in den Knochen steckt. Sie äußern ihre Angst vor einem globalen, ungezügelten Kapitalismus, der es den Industrienationen erlaubt, in einem Land billig zu produzieren, um in einem anderen teuer zu verkaufen.

Moodysson und Jarl unterschneiden die Interviews nur selten mit Fernsehaufzeichnungen und Polizeifilmen. Sie räumen ihren Protagonisten ein Maximum an Redezeit ein. Aus 110 Stunden Material stellten sie die Meinungen, Befürchtungen, Zukunftspläne und -ängste der verurteilten Jugendlichen zusammen. Ein „Talking Heads“-Dokumentarfilm, sicher, aber konsequent in seiner Absicht, den Verfemten eine Stimme zu geben.

So bleibt die Sequenz am Ende des Films, in der Jarl einen seiner Protagonisten zum Haftantritt begleitet, die einzige für diesen Film gedrehte Nicht-Interview-Szene. Umso größer die Wirkung: Wie an Vaters Statt geht Jarl die letzten Schritte zur Haftanstalt mit, bevor er nicht mehr weiter darf. Das väterliche Verhältnis zu seinem Protagonisten wundert nicht, wenn man weiß, dass Jarls Sohn unter den 700 Demonstranten in der Göteborger Schule war. (dakro)

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