Mehrwert des Nichts

Kai Zimmer hat seinen neuen „found footage“-Experimentalfilm fertig geschnitten

„Embleme für die Gesetzmäßigkeiten des Lebens und seiner Grundbedürfnisse, aber auch für die immer gleichen Tätigkeiten der Reproduktion“, habe Yasujiro Ozu in den menschenleeren, fotografischen Übergangseinstellungen in seinen letzten Farbfilmen aus den Jahren 1958 bis 1962 gefunden, schrieb Gertrud Koch 1983 in der „Frankfurter Rundschau“. Für den Ex-Kieler, jetzt Berliner Videokünstler Kai Zimmer ist das das Material für seine neueste „found footage“-Filmcollage mit dem Arbeitstitel „Mu“, was so viel wie „Nichts“ heißt.

Fast nichts ist in der Tat in den beinahe Stills, den filmischen Stilleben von verlassen scheinenden Siedlungen und Haus-Interieurs zu finden, keine Bewegung, keine Menschen, sozusagen ganz unfilmische Fotografie. Und doch scheinen diese Bilder zu sprechen, von Geschichten, die sich in diesen Räumen ereignet haben oder noch ereignen werden. Der Mehrwert solchen „Nichts“ scheint das „Dazwischen“ zu sein, die „Fuge“ am Übergang zwischen zwei Szenen oder Handlungsträngen. So - emblematisch - setzt sie Ozu ein. Indem Zimmer sie aneinander schneidet - als Handlungsstrom nur der, dass der Blick von der Natur weit außen sich immer mehr verengt in die Straßenzüge, dann in die Häuser, dann auf einzelne Gegenstände - wird diese von Ozu intendierte Wirkung gleichsam konzentriert und damit noch deutlicher. Auch dadurch, dass Zimmer die Stilleben nach einem imaginierten Tagesablauf organisiert, Aufstehen, zur Arbeit Gehen, abends Flanieren und wieder nachhause Kommen. Und dass das ohne einen einzigen Menschen funktioniert, zeigt erneut die emblematische Kraft der Ozuschen Einstellungen.

Menschenleere Interieurs bei Ozu und in „Mu“

So ist Zimmers im Juli in der Kieler Filmwerkstatt rohgeschnittene sechseinhalb-minütige Filmcollage einerseits eine Hommage an Ozu. Andererseits setzt sie aber Zimmers Reihe der „found footage“-Filme fort und präzisiert seine Methode, vorgefundenes Material durch die verdichtende Montage gleichsam „zu sich“ zu bringen. Ebenso setzt er mit „Mu“ seine zuletzt in „Blaue Blumen“ entwickelte Auseinandersetzung mit der Romantik fort, mit den Bildern, die sich nicht hinter den Bildern verbergen, sondern als Symbole in ihnen. Die Blickorganisation von außen nach innen ist dafür wiederum Symbol und macht den Film selbst zu einem Emblem und entlockt so dem Nichts einen erstaunlichen Mehrwert. (jm)

„Mu“, D 2005, 6,5 Min., DV, Farbe, Regie/Schnitt: Kai Zimmer. Hergestellt mit Unterstützung der Kulturellen Filmförderung S.-H.

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