Familie und ErinnerungEindrücke vom Hamburger Filmfest 2005Vier Filme aus dem Programm des Hamburger Filmfestes 2005 können natürlich kein repräsentativer Querschnitt sein. Eine Zufallsauswahl zudem, denn drei der vier hier kurz besprochenen Filme fanden sich im samstäglichen Programm der Akkreditiertenvorstellungen. Trotzdem befassen sich zumindest zwei der drei Titel mit den Themen, die sich beim Hamburger Filmfest als Gemeinsamkeit in den internationalen Einreichungen erspüren lassen: Familie und Erinnerung. Tanz als Integration: Mad Hot Ballroom Der Film lebt von seinen Darstellern, den cleveren oder naseweisen, elfjährigen Kids, die aus ganz unterschiedlichen sozialen Hintergründen im Tanzkurs zusammenfinden, und einer Handvoll einfühlsamer Lehrer, die den Idealismus des Projektes formulieren. Buchautorin Amy Sewell schrieb als Journalistin einen Artikel über das 1996 ins Leben gerufenen Ballroom Dancing Projekt und schlug ihrer Freundin und Filmproduzentin Marilyn Agrelo vor: Lets make a movie. Die Filmemacherinnnen suchten Anfang 2002 drei Public Schools aus Brooklyn, Washington Heights und Tribecca für ihre Beobachtungen aus. Die soziale Zusammensetzung an den Schulen ist sehr unterschiedlich, das spiegelt sich in den Tanzkursen und späteren Turnierteams. Die smarten Downtown-Manhattan-Kids aus Tribecca fragten das Filmteam schon bei der ersten Begegnung nach dem Distribution Deal, während der junge Dominikaner Wilson gerade erst auf die Schule gekommen war und noch kein Wort Englisch sprach. Dass Ballroom Dancing auch den Zweck der multikulturellen Integration erfüllt, arbeitet der Film deutlich heraus. Der fremde Außenseiter Wilson kann durch sein Geschick beim Turnier bei seinen Klassenkameraden punkten. Seine witzigsten Momente hat der Film, wenn die Kids unter sich das Tanzen und ihre Tanzpartner kommentieren. Da entwickeln Elfjährige schon detaillierte Lebenspläne und wissen schon genau, wann sie das erste und einzige Kind bekommen und welche Charaktereigenschaften ihr Traumpartner haben muss.
Traumziel Eisberg: L'Iceberg LIceberg erzählt die Abenteuer von Fiona, die aus ihrem scheinbar glücklichen Leben zwischen Kleinfamilie und Job im Fastfood-Restaurant ausbricht um den titelgebenden Eisberg zu finden. Sie erobert auf ihrer Flucht einen taubstummen, vom Schicksal gezeichneten Seemann, der sie mit seinem Segelboot titANIQUE dem Traumziel Eisberg näher bringen soll. Doch Fionas Gatte gibt sich nicht so schnell geschlagen und verfolgt die beiden versteckt im Rettungsboot, bis es zum dramatischen Finale kommt. Der Film punktet mit etlichen, netten visuellen Einfällen und einer sympathischen Schrägheit. In durchgehend starren Einstellungen, mit Rückprojektionen sowie Kadern, Farben und Formen, die auf die ligne claire des belgischen Comiczeichners Hergé verweisen, sticht der Film stilistisch aus der üblichen Ware heraus. Man merkt der gedehnten Storyline und der quasi ausbleibenden Figurenentwicklung aber den Kurzfilm-Background bzw. mangelnden Erfahrung der Filmemacher mit dem abendfüllenden Format an. Auch wenn der Film nicht an seine Vorbilder heranreicht, für Fans von Jaques Tatis Monsieur Hulot-Filmen oder Hergés Tim und Struppi-Comics ist die Expedition zum Eisberg eine amüsante, zitatenreiche und zeitweise fantasiereiche Reise. Kulturrevolutionäre Zeiten als bloßer Hintergrund: Electric Shadows Wie Balzac und die kleine Schneiderin arbeitet auch Electric Shadows mit den Themen Familie, Liebe und Leidenschaft für Kino (-Kultur) vor dem Hintergrund der Kulturrevolution. Doch anders als Balzac oder Peacock gelingt es dem Film nicht, die Auswirkungen der geistes- und menschenfeindlichen Grundstimmung der Kulturrevolution auf das Familienleben schlüssig darzustellen. Die politischen Verhältnisse scheinen für Jiang mehr dramaturgisches Mittel zum Zweck für den Spannungsbogen einer Familientragödie mit leisem Happy End zu sein. Die erzählerischen Elemente glückliche Jahre unter schwierigen Umständen und die Magie des Kinos werden dabei ein wenig überstrapaziert. Zu viele Schnitzel auf der Erinnerungsjagd: Memoires Affectives Aber anstatt sich des Themas der zweiten Chance oder der Unmöglichkeit einer solchen nach einem Totalausfall der menschlichen Erinnerung zu widmen, setzt Leclerc nur auf die kriminalistische Komponente seiner Story. Ehefrau und Tochter verschwinden somit auch schon nach der Hälfte des Films in den ewigen Jagdgründen des Drehbuchs. Ach ja, einen Schuss Esoterik gibts auch noch, Alexander kann nämlich plötzlich unter Hypnose eine indianische Sprache sprechen, weil er die Erinnerungen eines indianischen Jägers geerbt hat. Was das aber mit seinem Bruder, von dem keiner wusste, und dem Hirsch, der tot an der Straße lag, zu tun hatte? Da ging mir wohl ein Schnitzel auf der Jagd verloren. (dakro) |