47. Nordische Filmtage Lübeck

Pittoreskes und Privates

„Die Menschen im Meer“ (Wilfried Hauke, D 2005)

Grüne Wiesen, vom Salz des Meeres durchtränkt, kuschelige Warften, Sonnenunter- und -aufgänge, Stürmisches und immer wieder das wilde, wilde Meer – Wilfried Haukes 5-teilige Doku-Soap „Die Menschen im Meer“ über Natur und Leben auf den Halligen im schleswig-holsteinischen Wattenmeer spart nicht mit pittoresken Postkartenmotiven. Bei so mancher Einstellung schaudert’s einen angesichts so viel Klischees von „Unserem Norden“ à la anderen NDR-Heimatiaden über das Land zwischen den Meeren, von den wohl unvermeidlichen Quetschkommoden-Jingles als musikalischer Untermalung mal lieber zu schweigen.

Und doch: „Die Menschen im Meer“ ist nicht die x-te Auflage hübsch bebilderter Heimatkunde, denn das pittoreske Naturbild ist hier allenfalls die nunmal nicht weg zu filmende Kulisse für allzu menschliche, private Innenwelten. Wilfried Hauke bedient die Klischees lediglich als Vehikel. Worauf er fokussiert, und das sagt ja schon der Titel, sind die Menschen, die Bewohner solch bilderüberfluteter Heimatszenen. Auf den Halligen Oland, Langeneß und Gröde ist das regelmäßige Landunter, wenn sich das Meer zeitweise nimmt, was ihm eigentlich sowieso gehört, ein Rhythmus des fruchtbaren Gebens und zerstörerischen Nehmens. Das Meer ist Feind und Freund zugleich. Und so darf man auch das „Landunter“ pittoresker Naturabfilmungen sehen, feindlich für einen klischeelosen Film, aber freundlich für das Bühnenbild, auf dem sich mitten im Meer ganz alltägliche Schicksale abspielen. Menschen nah, weil täglich damit konfrontiert, an den Gezeiten der Natur, aber eben auch einfach Menschen mit ihren Freuden und Leiden, Menschen wie du und ich, für die ihr Lebensraum zwar in vielem, jedoch nicht in allem bestimmend ist.

„Die Menschen im Meer“ ganz leibhaftig bei der Kino-Premiere im FilmforumSchleswig-Holstein (Foto: jm)

Beispiel: Die Distanzbeziehung von Hallig-Lehrerin Kristina Logowski und ihrem Freund Michael, der auf dem niedersächsischen Festland einem IT-Job nachgeht. Dass sie sich noch seltener sehen können als andere Distanzpaare, weil die Hallig mal wieder von der Außenwelt abgeschnitten ist, macht die Probleme, die Sehnsucht nur ein bisschen größer. Ansonsten ist das ein „ganz normales“ Schicksal von Menschen in unterschiedlichen Sphären, die dennoch zueinander gefunden haben. Soll Michael auf die Hallig ziehen, gibt es für beide eine Zukunft auf dem Festland? In Berlin versus Kiel stellen sich Distanz-Paare keine anderen Fragen. Oder Monika Mommsen, deren Kiosk von den Hallig-Touristen lebt – wie manch’ anderer auf festerem Land nicht anders den Marktgesetzen unterworfen ist.

Erzählt das Hallig-Leben von Innen: Wilfried Hauke (im Premieren-Gespräch mit Angela Buske – Foto: jm)

Hauke zeigt die Halligen nicht als exterritoriales Gebiet, nicht als Ausnahmezustand im Kampf mit Wind und Wellen, sondern als einen Ort, wo sich Leben ereignet wie anderswo auch. Und eben diese Sicht auf die „Menschen im Meer“ macht sie sympathisch, macht ihr über ein bewegtes Jahr porträtiertes Leben nachvollziehbar, fern aller Watt-Romantik. Selbst Fiede Nissen, Hallig-Postbote, Bürgermeister von Langeneß, Heimatverein-Vorsitzender und Fischer in einer Person, ein friesisches Original wie es sich kein Klischee besser ausdenken könnte, ist hier einfach mal Privatmann, erzählt von seinem Leben, den Befürchtungen auch, dass die drohende Klimakatastrophe die Halligen einst unbewohnbar machen wird. Ein Seebär, klar, aber auch ein Mann mit ganz normalen Gefühlen, Meinungen und Ein- und Aussichten in und auf die Welt.

„Ganz normaler“ Seebär – Fiede Nissen in „Die Menschen im Meer“ (Foto: NFL)

Fast eine Demontage der Klischees gelingt Wilfried Hauke, indem er es als Lebenswelt filmt, als zwar ungewöhnliche, aber nicht so weit „ab vom Schuss“, dass die Halligbewohner Hinterwäldler wären, mit romantischem Gefühl betrachtet und bestaunt von Festländern aus ihren Städten, wo es Kinos gibt. Die Hallig erscheint als Ort, der zwar Ausnahme ist, weil man wohl nirgendwo anders in deutschen und europäischen Landen so abhängig von der Natur, ihren Rhythmen und ihren Jahresgezeiten ist, der aber dennoch kein Ort der Exotik ist. Man geht in die reich beklatschte Kino-Premiere im Filmforum Schleswig-Holstein und erwartet Fürchterliches. Und man kommt aus ihr quasi als Konvertit. Denn Wilfried Hauke gelingt mit seiner Doku-Soap eine Nähe zu seinen Protagonisten, die unabhängig ist vom pittoresken Ort ihres Ereignisses, die es wagt, genau hinzuschauen, liebevoll und abseits vom Klischee, das sie mit berauschenden Naturbildern (Kamera: Rolf Bieler) gleichwohl evoziert. Hautnähe könnte man das nennen. Und zur Haut gehört halt auch, dass sie die Grenze zwischen Innen und Außen ist. Beides muss man zeigen, beides zeigt „Die Menschen im Meer“. (jm)

„Die Menschen im Meer“, 5-teilige Doku-Soap, 5 x 26 Min., D 2005. Buch, Regie: Wilfried Hauke. Produktion: dm film im Auftrag der ARTE Redaktion des NDR. Die Erstausstrahlung erfolgt vom 28. November bis 2. Dezember 2005, jeweils 20.15 Uhr, auf ARTE.
1. Halligleben: 28.11.2005
2. Frühlingserwachen: 29.11.2005
3. Sommerwind: 30.11.2005
4. Herbststurm: 1.12.2005
5. Winterstille: 2.12.2005

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