Ein Stück dänischer Widerstandsgeschichte als amerikanisches Genrekino

„Tage des Zorns“ (DK/D 2008, Ole Christian Madsen)

Fast beschwörend kommen zu Beginn des Films die Fragen aus dem Off: „Erinnerst du dich an ihre Ankunft? Erinnerst du dich an den 9. April? Wo warst du damals? Was dachtest du?“ – Gemeint ist der 9. April 1940, der Tag des deutschen Überfalls auf Dänemark, mit dem die fünfjährige Besatzungszeit begann. Mit Archivbildern aus jenen Tagen der Okkupation setzt Ole Christian Madsens „Tage des Zorns“ ein, und man könnte meinen, es ginge um die schwierigen fünf Jahre der Kollaboration und des Widerstandes in Dänemark, der so recht erst 1943 begann. Aber der Film will mit diesem Anfang nur ein heftiges Bild der bedrohlichen Atmosphäre zeichnen, vor deren Hintergrund die Geschichte von Flame (Thure Lindthardt), so genannt wegen seines roten Schopfes, und Citron (Mads Mikkelsen), dessen Deckname von seiner früheren Anstellung in den dänischen Citroën-Werkstätten herrührt, erzählt wird. Sie spielt im Spätsommer 1944 in Kopenhagen und schildert in 136 überlangen Filmminuten den dänischen Widerstand an Hand eines Killerkommandos, um es krass, aber dennoch zutreffend auszudrücken.

Mads Mikkelsen als Citron

Der 23-jährige Flame und der 10 Jahre ältere Citron sind Mitglieder der Widerstandsgruppe „Holger Danske“. Von ihrem Anführer Aksel Winther (Peter Mygind) bekommen sie „tödliche“ Weisungen, und diese führen sie kaltblütig im Stile von amerikanischen Auftragskillern aus. Die Opfer sind zu Beginn ausnahmslos dänische Kollaborateure bzw. Leute, die Mitglieder aus dem Widerstand verraten haben oder könnten. Ob die Bezichtigungen stimmen, wird von Flame und Citron nicht hinterfragt. Sie sind ihrem Chef bedingungslos ergeben und werden so durch ihre blutigen Aktionen rasch zu Staatsfeinden ersten Ranges für Gestapo-Chef Hoffmann (Christian Berkel). In der eigenen Bevölkerung hingegen verehrt man sie als Helden.

Der Kampf gegen dänische „Verräter“ weitet sich bald aus. Jetzt werden auch deutsche Besatzer zu Zielen. Als die Ermordung des angeblichen deutschen Abwehr-Kommandanten Gilbert (Hanns Zischler) beim ersten Mal fehlschlägt, schleichen sich bei Flame und Citron erste Zweifel ein. Flame hat im letzten Augenblick einen Rückzieher gemacht und Gilbert nicht getötet, weil sich dieser im Gespräch nicht als erwartet glühender Nazi entpuppte, sondern als ein nachdenklicher Opponent. Später, nachdem Citron den Mord nachgeholt hat, kommen sogar Gerüchte auf, dass Gilbert dem deutschen Widerstand angehört habe und Aksel Winther das Attentat aus rein persönlichen Gründen befohlen habe.

Nicht nur hier bleibt der Film im Ungefähren. Denn nicht nur die Akteure werden verunsichert und wissen oft nicht, wem und was sie glauben sollen, sondern auch der Zuschauer wird bis zum Schluss in diesem unbefriedigenden Zustand der Unklarheit gelassen. Ansonsten kommt dieser Stoff, deren Hauptfiguren auf historischen Personen fußen, über weite Strecken wie ein amerikanischer Gangsterfilm im Stile des Film Noir daher. Dunkel nicht nur seine Charaktere, die Atmosphäre und die Kulissen, sondern auch die historischen Hintergründe und Zusammenhänge – über die deutschen Besatzer heißt es an einer Stelle im Off-Monolog, von dem keiner weiß, wer ihn eigentlich spricht (ein rudimentärer Erzähler?): „Erinnerst du dich noch woher sie kamen? Sie kamen aus dem Dunkel.“ Nicht nur hier: Mystifizierung anstatt historischer Erklärung. Ein Stück dänischer Widerstandsgeschichte wird als amerikanisches Genrekino abgehandelt, als hätte Scorsese Anregungen gegeben. Wie bei ihm wird geballert und gemetzelt. Die beiden Helden sind Widerstandskiller aus Passion (aufrichtig und zwielichtig zugleich), die nur für den Augenblick leben („Danach, ich glaube nicht, dass es das gibt. Nicht für uns, wir müssen weiter ...“, sagt Flame) und doch immer mehr zweifeln, ob sie als Racheengel auf der moralisch richtigen Seite stehen („Es gibt weder Gerechtigkeit noch Ungerechtigkeit mehr“, gibt Citron zu).

Rechtfertigt der Zweck tatsächlich alle Mittel? Dieses Dilemma bleibt die Grundfrage, an der Flame und Citron in nachdenklichen Momenten immer mehr innerlich zerbrechen. Flame verliebt sich in die dänische Doppelagentin Ketty Selmer (Stine Stengade) und beginnt aufgrund ihrer Darstellung der Dinge an seinem Chef Winther zu zweifeln. Als schließlich die Verhältnisse immer undurchschaubarer werden (leider auch für den Zuschauer) und Flame und Citron von politischen Kreisen des Widerstandes aus taktischen Gründen zu Ruhe genötigt und bestochen werden sollen, beschließen sie endlich, ihren Erzfeind Gestapo-Chef Hoffmann umzubringen, was ihnen vorher immer von Winther untersagt worden war. Doch das Attentat schlägt nicht nur fehl, sondern Unschuldige müssen dran glauben. Das Ende der Freunde ist absehbar und wird im Falle von Citron, der sich heldenhaft verteidigt, übermäßig und actionreich aufgeblasen, ganz im Stile von Hollywood.

Gestapo-Chef Hoffmann (Christian Berkel, links) und Flame (Thure Lindthardt)

Der Film gibt sich schon Mühe, die psychische Zerrissenheit – wenn man so will: den pathologischen Verfall – von Flame und Citron zu zeigen: Flame wird Opfer seines radikalen Idealismus und seines fast blinden Vertrauens zu Ketty trotz ihres nebulösen Verhaltens. Und auch Citron zerbricht am Untergrundkrieg, verliert die Liebe und Treue seiner Ehefrau, die beginnt, sich vor ihm zu fürchten, und sich einem anderen Mann zuwendet. Doch werden die zentralen Fragen von Schuld und Verantwortung immer wieder von dem rohen, gewalttriefenden filmischen Getöse der Attentate in den Hintergrund gedrängt. Auch bleibt der Film über weite Strecken doch zu vordergründig und kalt.

„Tage des Zorns“ ist mit Produktionskosten von 10 Millionen Euro einer der teuersten dänischen Filme aller Zeiten, der nicht zuletzt nur mit deutscher Mithilfe gestemmt werden konnte – auch die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein hat ihr Scherflein dazu beigetragen, und Babelsberg durfte für die gediegenen Kulissen und die sorgfältige Ausstattung sorgen – und bis Ende August (dem Zeitpunkt des deutschen Kinostarts) schon 650.000 dänische Zuschauer gewinnen konnte. Also zahlenmäßig ein großer Erfolg. Aber die Chance, einem größeren nicht-dänischen Publikum ein wichtiges Thema der dänischen Geschichte nahe zu bringen, wurde inhaltlich leider über weite Strecken des Films verschenkt. (Helmut Schulzeck)

„Tage des Zorns“, Dänemark/Deutschland 2008, 136 Min., 35 mm, Regie: Ole Christian Madsen, Buch: Lars K. Andersen und Ole Christian Madsen, Kamera: Jørgen Johansson, Schnitt: Søren B. Ebbe, Darsteller: Mads Mikkelsen, Thure Lindthardt, Stine Stengade, Christian Berkel, Hanns Zischler, Peter Mygind. Deutscher Kinostart: 28. August 2008

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