48. Nordische Filmtage Lübeck

Erhellender Blick aus der Fremde

„Full Metal Village“ (Sung-Hyung Cho, Deutschland 2006)

Was wüsste man von Wacken, dieser paar hundert Seelen Gemeinde im Holsteinischen, wenn sich da nicht alljährlich am ersten Wochenende im August zigtausend Metal Heads träfen, um ihr Wacken Open Air zu feiern? Nicht viel mehr als Sung-Hyung Cho wusste, als sie mit der Kamera und sich auf Entdeckungsreise in die Provinz der Provinz ging. „Was ist fremd, was ist Eigenes?“, fragte sich und ihr Thema die aus Südkorea stammende Filmemacherin, und lieferte einen Dokumentarfilm (gefördert von der Kulturellen Filmförderung S.-H. und der MSH) ab, der den „Clash of Cultures“ als liebevolle Begegnung zwischen traditionell Dörflichem und international Gitarre Krachendem zeigt. Als einen diametralen Gegensatz, der sich auf wunderbare Weise vermittelt.

Das Dorf jubelt metal-head-bangend (Foto: NFL)

Wo der von der MSH ausgelobte Filmpreis Schleswig-Holstein sich in seiner Preisgala als rot-weiß-blau tümelnde Farce à la Hollywood präsentierte, zeigte die Jury Weisheit, dass sie diesen Annäherungsprozess mit dem Dokumentarfilmpreis auszeichnete. Denn Sung-Hyung Cho ist als in mehrfacher Hinsicht Fremde die beste Beobachterin dieses Heavy Metal Spektakels, das sich in Wacken ereignet wie die Sintflut, die jedes Jahr reinigend und also kathartisch über das stille Dorf hereinbricht. Eine erhellende Entscheidung, dass Cho das Festival nur zum Anlass nimmt, ein Porträt einer Gemeinde und ihrer Charaktere zu zeichnen. Da sind die Bauern, deren sprichwörtlicher Schläue sie Raum gibt. Etwa Bauer Trede, dem heimlichen Bürgermeister des Festivals, der vor laufender Kamera unverblümt ausplaudert, was er wirklich über sich und die Frauen denkt. Und Milchbauer Plähn, der der als naives Unbewusstes in der Szene auftauchenden Regisseurin mit ehrlichem Bildungsbedürfnis erklärt, dass Kuh nicht gleich Kalb ist und wo zwar Bartels nicht den Most holt, aber Plähn die Milch erwirtschaftet.

Mit Witz das Eigene im Fremden beobachtet: Regisseurin Sung-Hyung Cho bei der Preview ihres Films bei den Nordischen Filmtagen (Foto: jm)

Was Cho fremd ist, was sie sich und uns filmisch erschließt, ist eine Grundmetapher des fremd Seins. In Wacken wird das greifbar, wenn die internationale Headbanger-Szene auf die Dickschädel des ländlichen Raums trifft, wenn beide die Feuerwehrkapelle bejubeln, die selbst mit ihren Stammtisch-Jingles rockt. Wenn die Mädels des – bis auf das erste August-Wochenende – verschlafenen Ortes in ihrem selbst gebauten Fitness-Stall der großen weiten Welt der Models nacheifern: Kühe in Halbtrauer, Aufbrechende in die Sphären der großen weiten Welt des Weiblichen, also Menschlichen.

Wacken ist ein Beispiel dafür, dass auch in der Provinz das große weite Leben pulst, dass Hinterwäldler Wandler in den Wäldern des Seins sind, dass die Provinz auch der Ort ganz großer Geschichten ist. Cho zeigt das mit einer Liebe, die vielleicht nur den Fremden eigen ist, wenn sie neugierig auf das Fremde schauen und uns damit unser Ureigenstes zeigen. Wo das Fremde auf das Eigene trifft, sind wir zuhause, als Mensch, nicht bloß als Provinz. Manchmal mag die Sigle dafür nur der Edeka-Laden in Wacken sein, der zur Festival-Zeit auch drei statt nur einer Kasse haben dürfte. Draußen sind all die Helfer, die Botschafter der Gemeinde, die einmal im Jahr weltläufig wird. Cho zeigt das in einer Eindringlichkeit, die vielleicht nur die aus der Fremde Blickende erhellen kann.

Ein Film, der im Gedächtnis bleibt, eine Dokumentation, die das Dokumentarische kathartisch begreift, reinigend von Vorurteilen, indem sie selbige so eindringlich darstellt. Ein „Clash of Cultures“, der hoffen lässt, dass unterschiedliche Kulturen verbindende Begegnungen sind – in der internationalistischen Provinz, genau da ... (jm)

„Full Metal Village“, D 2006, 90 Min., 35 mm, Regie Sung-Hyung Cho.

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