49. Nordische Filmtage Lübeck

Lars von Trier spielt mit der eigenen Biografie

„Erik Nietzsche – Die frühen Jahre“ (Jacob Theusen, Dänemark 2006)

Erik Nietzsche – Die frühen Jahre“ hätte sicher nicht die Aufmerksamkeit von Publikum und Kritik erfahren, wenn das Drehbuch nicht vom alter Ego des ungekrönten Königs des europäischen Kunstkinos, Lars von Trier, geschrieben wäre. Aus dem selben Grund verdient die als Satire angelegte Initiationsgeschichte des Filmstudenten Erik Nietzsche einen Blick hinter die Komödienfassade.

Erik Nietzsche“ funktioniert vordergründig als autobiografisch motivierte und von Regisseur Jacob Theusen filmisch eher solide, aber teilweise bildwitzig inszenierte Kolportage der Filmstudentenjahre Lars von Triers an der Kopenhagener Filmhochschule Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre. Jacob Theusen ist als Cutter langjähriger Mitarbeiter von Triers und debütierte bereits erfolgreich mit eigenen Dokumentar- und Spielfilmen.

Von Trier spielt mit der eigenen Biografie, charakterisiert die Figur des jungen Erik Nietzsche, gespielt vom dänischen Stand-Up Comedian und Film- und Fernsehdarsteller Jonatan Spang, als naiven, filmhistorisch unbedarften Studenten, dessen eigentlich abgelehnte Bewerbung nur durch einen Zufall doch noch angenommen wird. Die Kopenhagener Filmhochschule beschreibt er als einen Hort eitler, selbstgerechter und sexbesessener Professoren, die einem Haufen untalentierter, aber selbstbezogenen Studenten tradierte Filmkunst eintrichtern will. Erik Nietzsche werden im Laufe der Jahre sämtliche romantische Illusionen genommen und durch tragisch-komische Erkenntnisse über die Realitäten des Filme Machens ersetzt. Nebenbei treten eine Reihe von Phobien zutage, etwa Höhenangst oder die Angst vor sexuell selbstbewussten Frauen. Nietzsches innerer Widerstand gegen die als unverrückbare Wahrheiten präsentierten filmischen und dramaturgischen Grundregeln haben symptomatische Folgen: Depressionen, Durchfall und noch mehr Angstträume. Die Adaption einer Schrift des Marquis de Sade als Studentenfilm wird vom Lehrkörper verhindert. Als auch das Skript für seinen Abschlussfilm in Befürchtung eines Skandals abgelehnt wird, bricht Nietzsche endgültig mit seinen Professoren und zieht sein Projekt über einen Wehrmachtsoffizier während der deutschen Besetzung Dänemarks gegen den Willen der Hochschule durch.

Selbstporträt mit ironischer Maske: „Erik Nietzsche“ (Foto: NFL)

Erik Nietzsche“ ist eine Parabel auf den Kunstbetrieb und die damit einhergehenden Egomanien und Eigeninteressen. Ein junger Wahrheiten Suchender muss sich zwangsläufig an dessen Vertretern reiben, gegen sie aufbegehren. Nietzsche schlägt sie mit den eigenen Waffen, wenn er als Gewerkschaftsmitglied der Filmschaffenden erst „die Räder zum Stillstand bringt“, um dann geschickt sein erstes Langfilm-Drehbuch zu lancieren. Von Trier propagiert humorig den Untergang des (dänischen) Film-Establishments und unterstreicht gleichzeitig seine selbst gewählte Außenseiter-Position. Für eine stimmige Geschichte unterschlägt er dabei einige biografische Fakten. Nach drei Jahren des Studiums der Filmwissenschaften vor der Filmhochschule war er sicher nicht so unbedarft wie sein alter Ego Erik Nietzsche. Und von Trier hatte anders als Nietzsche kompetente Mitstudenten wie Kameramann und Co-Autor seines Abschlussfilms „Befrielsesbilleder/Images of Relief“ (DK, 1982) Tom Elling. Doch tatsächlich stieß von Trier mit seinen studentischen Filmen in der Hochschule auf den Widerstand und das Unverständnis seiner Professoren.

Launig streut von Trier in seinem Drehbuch Querverweise auf seine späteren Filme ein, eine Eigenart, die sich durch viele seiner Filme zieht und den Charakter eines Gesamtkunstwerkes unterstreicht. Das Drehbuch, das Erik Nietzsche gegen Ende des Films einem Produzenten überreicht, trägt den Titel „The Cop and the Whore“. Der beschreibt treffend die Hauptfiguren in von Triers erstem Langfilm „Forbrydelsens Element/Element of Crime“ (DK, 1984). Wortwörtlich taucht der Titel aber in von Triers zweiten Film „Epidemic“ (DK 1987) als der Titel jenes Drehbuchs auf, das durch einen Unfall zerstört wird und an das sich die Autoren nicht mehr erinnern können. Im Abspann von „Erik Nietzsche“ sehen wir einen älteren Nietzsche, der auf den Tennis Court das Nachziehen der Spielfeldlinien beobachtet. Nietzsche visioniert ein ganzes Filmset bestehend nur aus Linien am Studioboden. Den Verweis auf „Dogville“ (DK, 2003) und „Manderlay“ (DK 2005) darf man sicher als Hinweis auf von Triers freien und selbstironischen Umgang mit seiner eigenen Biografie verstehen. Ganz nebenbei finden auch von Triers allererste Super-8-Animationen Eingang in den Film und werden so mit dem Werk verzahnt.

Die Wahl des Namens des deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche ist möglicherweise Koketterie mit dem eigenen Image als tiefsinniges enfant terrible der Filmkunst. Doch wahrscheinlicher ist, dass Lars von Trier mit „Nietzsche“ den profunden Kritiker von Moral, Religion, Philosophie, Wissenschaft und Kunst assoziieren will. Auch die Figur des Erik Nietzsche, und damit Lars von Trier, will keine gegebenen Wahrheiten hinnehmen. Sein Interesse gehört Skeptikern oder Provokateuren wie de Sade oder eben Nietzsche. Von Trier wagte in seinen ersten drei Langfilmen, der „Europa-Triologie“ gesellschaftliche Reflexionen in der Tabuzone der Zeitgeschichte und untersucht anschließend christliche Grundwerte in seiner „Golden-Heart-Triologie“. Mit „Erik Nietzsche – Die frühen Jahre“ unterfüttert von Trier sein Filmwerk mit weiteren Verweisen auf seinen philosophischen Überbau, der insbesondere von den europäischen Denkern der Aufklärung und des 19. Jahrhunderts geprägt zu sein scheint. Er tut dies mit einer gehörigen Portion Selbstironie und Humor und das macht „Erik Nietzsche – Die frühen Jahre“ zum vielschichtigen Vergnügen.

Lars von Triers Studentenfilme „Nocturne“ (DK, 1980) und „Befrielsesbilleder“ sind als „easter eggs“ auf der Europa-Triologie-Box enthalten, deren zahlreiche Dokumentationen und Kommentare sehr detailliert Auskunft über von Triers frühes filmisches Arbeiten geben. (dakro)

„De unge ar: Erik Nietzsche/Erik Nietzsche: Die jungen Jahre”, Dänemark 2006, 91 Min., 35 mm. Regie: Jacob Thuesen, Buch: Erik Nietzsche, Kamera: Sebastian Blenkov, Schnitt: Peer K. Kirkegaard, Darsteller: Jonatan Spang, Sören Pilmark, Dejan Cukic u.a.

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