49. Nordische Filmtage Lübeck

Zwei Frauen und ihre Drogenkranken

„Der Riss im Regenbogen“ (Rasmus Gerlach, D 2007)

Helgas Sohn Heiko diskutiert ganz erregt darüber, dass Rauschgiftentzug den Tod für den Süchtigen bedeuten kann. „Da kann man sterben von“, meint er entrüstet. Eine tragikomische Szene aus Rasmus Gerlachs Dokumentarfilm „Der Riss im Regenbogen“. Der Hamburger Dokumentarfilmer Gerlach begleitet darin zwei Angehörige von Suchtkranken auf ihren alltäglichen Odysseen über den Hamburger Hauptbahnhof und bei ihren Bemühungen um Fürsorge im Rahmen einer „Eltern- und Angehörigen-Initiative für akzeptierende Drogenarbeit“.

Helga ist schon im Rentenalter. Ihr Sohn ist suchtkrank. Wie ihre Freundin Ursel, deren Enkel Jens und Marcus auch von der Sucht betroffen sind, versucht sie aktiv, nicht nur ihren Sohn zu unterstützen, sondern auch für andere Suchtopfer, deren „Revier“ der Hamburger Hauptbahnhof ist, quasi eine helfende Samariterin zu sein. Früher war das noch etwas einfacher. Die beiden Frauen haben mit Gleichbetroffenen Essen am Bahnhof verteilt, die Drogenabhängigen mit warmer Winterkleidung und Medikamenten versorgt. Doch seit Ole von Beust, der von Großmutter Ursel nur verschämt „der neue Bürgermeister“ genannt wird, an der Macht ist, sind den Frauen solche Aktivitäten auf dem Bahnhofsgelände untersagt. Ein innenpolitischer Fingerzeig in Gerlachs Film. Ein anderer ist Helgas nüchterne Feststellung, dass viele Drogentote in den offiziellen Statistiken gar nicht mehr als solche auftauchen, sondern z.B. als HIV- oder Hepatitisopfer geführt werden.

Heiko und seine Mutter Helga (Foto: NFL)

Gerlachs Film erzählt leise und betroffen seine beiden Geschichten. Da ist zum einen der „Kampf“ zwischen Helga und ihrem Sohn. Obwohl Helga Heiko helfen will und der diese Hilfe auch sucht und braucht, geraten beide immer wieder aneinander. Der Film deutet das nur diskret an; aber man ahnt, was sich zwischen beiden abspielt. Helgas Sohn ist sensibel, scheint belesen und mit einer robusten Wiederaufstehmentalität gesegnet zu sein. Und doch gewinnt man den Eindruck, dass all seine Redegewandtheit und sein punktuelles Bemühen, von seiner Sucht loszukommen, nur dazu dienen, seine Umwelt, in diesem Fall also auch den zuhörenden Filmemacher und damit auch den Zuschauer, über seine bisweilen schlummernde Krise hinwegzutäuschen. Mutter Helga scheint schon ihre Erfahrungen in dieser Hinsicht mit ihrem Sohn gemacht zu haben. Sie beschreibt ihn als einen, der sehr aggressiv werden kann, sich dann anderen Menschen gegenüber nicht in der Gewalt hat; mit anderen Worten, so berichtet die Frau, kann er schon mal den Fernseher auf dem Fenster im vierten Stock werfen, wenn ihm das Programm nicht gefällt. So grundiert unausgesprochen eine gewisse Ausweglosigkeit den Film.

Noch tragischer offenbart sich die Lage für Ursel, die beinahe tagtäglich zwischen Bangen und Hoffen nach ihren beiden Enkeln auf dem Hauptbahnhof und den angrenzenden, labyrinthisch anmutenden U-Bahntunneln sucht. Nur einmal trifft sie Jens. Und der scheint in ersten Moment gar nicht glücklich darüber zu sein, auf seine Großmutter zu treffen. Das ist wohl typisch für viele Süchtige. Sie brechen den Kontakt zu Angehörigen bewusst ab. So sagt eine andere Drogenabhängige auf Nachfrage von Ursel, dass sie eher zu wenig Kontakt zu ihrer Familie habe. Ursel trifft bei ihren Nachforschungen nach Marcus, den sie während der Dreharbeiten nicht zu Gesicht bekommen soll, auf viele andere Drogenkranke. Die mitfühlenden Gespräche, die sie mit ihnen führt, offenbaren dem Betrachter ein Kaleidoskop, in dem Hoffnungslosigkeit überwiegt, auch wenn die Abhängigen es anders darstellen und Ursel am Schluss des Films einen erholt wirkenden Jens in den Zug setzt. Erschütternd auch Ursels Erzählungen über die Ignoranz, ja Abwehr von ärztlicher Seite. Unterlassene medizinische Hilfeleistung: der Film braucht dieses Verdikt nicht auszusprechen. Es liegt offen zu Tage.

Unmittelbarkeit, Unaufgeregtheit und sensible Vorsicht zeichnen Rasmus Gerlachs Film aus. Klug spart er sich jeden überflüssigen Kommentar. Der Alltag der Drogenabhängigen und ihrer Angehörigen ist hart genug. (Helmut Schulzeck)

„Der Riss im Regenbogen“, D 2007, 58 Min., Beta SP, Regie, Schnitt und Produktion: Rasmus Gerlach, Kamera: Oleg Welk, Ton: Stephen Nikolai.

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