Undramatisch erzähltes Drama

Bartosz Werner dreht „Lukas“ in Kiel – Gespräch mit dem Regisseur

Im Möbeldiscounter Starprice am Kieler Güterbahnhof fühlt sich das Team sehr wohl, wie verlautet. Und wie man es am Set auch merken kann. Keine Filmhektik, ein ruhiger Dreh mit präzisen Kommandos, die aus den Walkietalkies wispern. Selbst für eine kleine Szene mit Nebendarstellern an jenem Ort, wo Bartosz Werners Filmheld Lukas einen Aushilfsjob bekommen hat, wo aber laut Drehbuch auch zwielichtige Geschäfte mit Hehlerware getätigt werden, nimmt sich der Regisseur alle Zeit der Welt. Werner inszeniert mit Ruhe, denn es kommt ihm, wie er später im Interview sagt, auf das Undramatische der Dramatik an. Kein Widerspruch, einfach eine filmästhetische Haltung, die den Figuren Zeit lässt, sich zu entwickeln – auch den Nebenfiguren.

Präziser Dreh im Ambiente des Möbeldiscounters Starprice: Regisseur Bartosz Werner (2.v.l.) und Kameramann Andreas Bergmann mit Steadycam

Und so wird die 30-Sekunden-Einstellung mit Akribie und voller Aufmerksamkeit mehrmals aus verschiedenen Perspektiven gedreht, die später für den Schnitt/Gegenschnitt benötigt werden. Selbst Kleinigkeiten, die noch nicht stimmen, sieht Bartosz Werner auf dem mobilen Online-Monitor und lässt mehrmals nochmal die Klappe fallen.

Genaues Szenenstudium auf dem Online-Monitor: Bartosz Werner (Mitte)

Die Mittagspause rückt mehr und mehr in den Nachmittag vor. Während das rund 40-köpfige Team hinter der Starprice-Halle oder in deren Sesseln endlich das wohlverdiente Catering genießen darf, steht Werner zum Presseinterview bereit und berichtet über den ganz undramatischen Angang in seinem zweiten abendfüllenden Film nach „Preußisch Gangstar“, mit dem er 2007 den Preis des Filmfests Schleswig-Holstein Augenweide gewann.


infomedia: Jugendfilm, Coming-of-Age-Komödie oder doch ein Drama – wie würdest du deinen neuen Film charakterisieren?

Bartosz Werner: Nichts von allem, das ist ein Liebesfilm über zwei Menschen um die 20, eine Tragikomödie über einen jungen Mann, der eine Frau liebt, die krank geworden ist. Was für eine Krankheit das ist, ist irrelevant. Es geht um einen jungen Mann, der erwachsen wird, aber auch um einen Erwachsenen, der seinen Weg ins Leben findet. Wege finden zu müssen, ist ja nicht nur Jugendlichen vorbehalten. Und es ist auch ein Familienfilm, weil das unabhängig vom Alter jeden ansprechen sollte, wie man seinen Weg finden kann. Lukas’ Probleme stellen sich auch älteren Menschen. Gerade durch die humoristische Art kann sich damit jeder identifizieren und sich darin hineinfinden.

Bartosz Werner (links) mit seinen Hauptdarstellern Remo Schulze und Klara Manzel im Interview

infomedia: Lukas läuft ja auch Gefahr, seinen familiären und sozialen Rückhalt zu verlieren, auch sich seine berufliche Zukunft zu verbauen. Ist der Film insofern auch ein wenig eine soziale Parabel über gegenwärtige gesellschaftliche Ängste, abzusteigen, den Halt zu verlieren?

Bartosz Werner: Nein, kein Film über sozialen Abstieg, das versuchen wir zu vermeiden. Mich hat vielmehr interessiert, was mit jemandem passiert, wenn ihm wichtige Bindungen wie Familie oder Freundin wegbrechen. Was bleibt ihm dann übrig? Welche Alternativen gibt es für ihn? Sowas passiert in der Tat in der Gesellschaft vermehrt, allerdings hier auf eine sehr undramatische Art, es passiert einfach. Und dann stellt sich die Frage, wie man beim Nächsten, vor allem aber sich selbst wieder anfangen kann.

infomedia: Was meinst du mit „undramatisch“?

Bartosz Werner: Ein wirkliches Drama kann nur aus undramatischen Elementen entstehen, die aufeinander folgen und sich summieren, aber eben keine Tragödie bilden. Je undramatischer das ist, was dem Helden passiert, desto dramatischer erscheint es im Kopf des Zuschauers. Wenn ich eine Szene dramatisch inszeniere, habe ich immer verloren. Wenn ich sie aber undramatisch inszeniere, kann der Zuschauer merken, dass da etwas Dramatisches unter der Oberfläche ist. So bilde ich das Unterdrückte, die Ängste ab. Wie bei Lukas, der alles zu verdrängen versucht, aber dann staut sich das an, und er kriegt die Kurve nicht mehr. Das will ich zeigen, nicht das offensichtliche Drama.

Undramatische Stimmung beim Dreh wie im Interview ...

infomedia: Daher auch Tragikomödie statt Tragödie?

Bartosz Werner: Genau. Wichtig ist, dass die Zuschauer auch (über sich und ihre Ängste, die sie in der Figur wiederfinden) lachen können. Gerade ein von Grund auf trauriges Thema wie Verlust muss man leicht erzählen, damit sowohl die Figuren als auch die Zuschauer darüber lachen können. Wenn du am Ende bist, bringt es dich nicht weiter, zu klagen, du musst weiter machen, und dafür brauchst du die Energie, wie sie aus dem Lachen kommt. Ein paar Tage nach dem Unglück lachst du wieder, musst du wieder lachen.

infomedia: In deinem letzten Film „Preußisch Gangstar“ hattest du einen dokumentarischen Gestus: Die Hauptdarsteller waren Laien, du drehtest mit beweglicher Kamera, was du ja auch hier bei „Lukas“ tust. Du hast an originalen Schauplätzen gedreht, wie ja auch jetzt in Mettenhof, einem sozialen Brennpunkt von Kiel ... Setzt du die Filmästhetik von „Preußisch Gangstar“ hier fort?

Bartosz Werner: „Preußisch Gangstar“ hatte einen sehr schnellen Schnitt. Davon distanzieren wir uns jetzt. „Lukas“ wird viel langsamer, viel ruhiger erzählt. Wir setzen auf lange Einstellungen, auf die Aktion der Schauspieler, der wir intensiver folgen. Wir haben hier eine viel simplere Geschichte, wo man durch Schnitt und dessen Geschwindigkeit nichts zu doppeln braucht, wo man vielmehr einfach dem folgen kann, was zwischen den Figuren passiert. Und dafür muss man sich Zeit lassen. Ich habe während des Drehs z.B. gemerkt, dass man drei Viertel des Films auch in stehenden Totalen hätten drehen können, und er würde trotzdem funktionieren. Der Film braucht keine Hektik, er braucht nur gute Schauspieler, und da habe ich mit Remo und Klara eine gute Wahl getroffen.

infomedia: Auch die Musik (von Enis Rotthoff) und angesagte Klamotten werden in dem Film eine wichtige Rolle spielen, so hört man. Dient derlei zur sozialen Verortung der Figuren in einer bestimmten „Peer-Group“?

Bartosz Werner: Ja, wir haben schon konkrete Vorstellungen zum Soundtrack, aber es wird nicht wie bei „Preußisch Gangstar“. Wir wollen diese Klischees nicht mehr. Das Umfeld der Figuren soll vielmehr so normal, allgemein und objektiv wie möglich sein. Wir wollen keine sozialen Inseln zeigen oder irgendwie charakterisieren, die die Figuren bestimmen, sie sollen für sich stehen. In den frühen Fassungen des Drehbuchs spielte das noch mehr eine Rolle, aber jetzt versuchen wir, das zurückzudrängen, weil es den Film nicht wirklich weiter bringt.

... und beim entspannten Photocall im Möbeldiscounter Starprice


„Lukas“ – Synopsis

Er macht es sich nicht leicht: Lukas (22, Remo Schulze) wohnt bei seiner hübschen, selbstbewussten Freundin Meike (24, Klara Manzel). Ohne sie könnte er sich eine solche Wohnung nie leisten, denn es gibt so viele andere Dinge, um die er sich kümmern muss: Sein Image, seine Kumpels, seinen Tanzstil ...

Seit mehr als vier Monaten hatten sie keinen Sex mehr – und das ist ganz sicher nicht Lukas Schuld! Er weiß ja noch nicht mal, warum! Was hat Meike gesagt? Eine heilbare, stressbedingte Krankheit, die eine Operation notwendig macht und körperliche Kontakte für diese Zeit ausschließt. Na, herzlichen Dank! Als Lukas während des Krankenhausaufenthaltes Meike seinen Egotrip fortsetzt und ihr keine Aufmerksamkeit schenkt, sie nicht einmal besucht, setzt sie ihn vor die Tür. Welch Überaschung! Doch Lukas fällt aus allen Wolken und sein sorgsam dargestelltes Superleben gerät ins Wanken. Prügeleien, Ärger mit der Familie, eine kleine Wohnung, mieser Job ... Die einzige Rettung für ihn – er muss sich mit Meike versöhnen, sie wieder zurück erobern. Andererseits fällt es Lukas immer schwerer, sich und Meike etwas vorzumachen. Er muss sich eingestehen, wie sehr er die Beziehung hat schleifen lassen. Aber nein, er muss zu ihr zurück, denn jetzt erkennt er erst wieder, wie super Meike ist. Was waren die beiden für ein Team. Und jetzt fühlt er sich als Arsch. Aber was soll‘s, nur Loser bleiben liegen!

Die Überraschung gelingt, er kriegt Meike rum. Was er nicht weiß, das ist kein Zufall. Meike hat ihn mit Absicht zappeln lassen. Sie versteht viel mehr von der Liebe zwischen Ihnen. Erstens kennt sie ihren Wert und zweitens weiß sie, tief im Inneren hat Lukas ein großes Herz - das soll er jetzt mal spüren!

Aber es gibt noch einen weiteren Grund: Sie braucht ihn jetzt an ihrer Seite mehr denn je. Lukas, damit beschäftigt mit seinem Gewissen wieder ins Reine zu kommen, merkt dies aber nicht. Er droht erneut auf einen Egotrip zu gehen und droht den gleichen Fehler noch einmal zu machen – sei er diesmal auch zu seiner Besserung, könnte dies das endgültge Aus bedeuten ...

„Lukas“, D 2008, 90 Min., Super16/35mm. Buch: Bartosz Werner, Alexandra Wiersch, Regie: Bartosz Werner, Kamera: Andreas Bergmann, Musik: Enis Rotthoff. Produktion: Distant Dreams, Ulrich Caspar, Koproduktion: NDR, Förderung: Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, BKM, FFA, DFFF. Darsteller: Remo Schulze, Klara Manzel, Charly Hübner, Charlotte Crome, Julia Franzke, Bo Hansen, Annika Blendl u.a.

(Interview: dakro/jm, Text: jm, Fotos: dakro)

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